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06.12.2019 10:36 Alter: 4 yrs
Kategorie: GKV-Szene, Berufspolitik

SG Hannover: KK soll Implantatversorgung „gewähren“

Zahnlosigkeit durch PAR „seltene Ausnahmeindikation“


Hier die Leitsätze eines bemerkenswerten Urteils (Az.: S 89 KR 434/18) des Sozialgerichts (SG) Hannover (Entscheidung und Begründung im Volltext finden Sie hier):

 

  1. Der durch eine Parodontitis verursachte zahnlose Unterkiefer erfüllt die Voraussetzungen einer Ausnahmeindikation iS des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB 5 iVm der Richtlinie des G-BA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (ZÄBehRL).
  2. Eine medizinische „Gesamtbehandlung“ liegt auch dann vor, wenn es sich lediglich um eine zahnmedizinische Behandlung handelt, bei der Implantate und in einem zweiten Schritt die dazugehörige Suprakonstruktion zur Wiederherstellung der Kaufunktion eingegliedert werden (entgegen BSG, Urteil vom 19.6.2011 – B 1 KR 4/00 R, juris, Rn 20).
  3. „Seltene“ Ausnahmeindikationen liegen auch dann vor, wenn zwar nicht die Erkrankung (Parodontitis) an sich, aber die Schwere der behandlungsbedürftigen Beeinträchtigung (vollständige Zahnlosigkeit) selten ist.
  4. An das Vorliegen einer Ausnahmesituation sind keine zusätzlichen qualifizierten Anforderungen zu stellen (entgegen BSG, Urteil vom 13.7.2004 – B 1 KR 37/02 R, juris, Rn 22). Eine allzu restriktive Auslegung der Anspruchsnorm würde dazu führen, dass auch bei einer medizinisch alternativlosen Implantatversorgung die Kosten von Versicherten eigenverantwortlich zu tragen sind, was nicht immer möglich ist und in nicht wenigen Fällen zur Folge hat, dass Versicherte hinsichtlich eines elementaren Grundbedürfnisses unversorgt bleiben. Die vom BSG vorgenommene Konkretisierung der maßgeblichen Rechtsbegriffe ist nach Wortlaut und Gesetzesmaterialien nicht zwingend, berücksichtigt den Willen des parlamentarischen Gesetzgebers nicht hinreichend und ist im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG sowie teilhaberechtliche Vorgaben problematisch.

 

SG Hannover 89. Kammer, Urteil vom 12.04.2019, S 89 KR 434/18 []

 

TENOR

Der Bescheid vom 2. Januar 2018 in seiner Fassung vom 15. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Verankerung von Zahnersatz im Unterkiefer medizinisch erforderlichen implantologischen Leistungen zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. […]

 

Quelle: Niedersächsisches Landesjustizportal; siehe hierzu auch: 

"Leitfaden für den implantologischen Gutachter im System der gesetzlichen Krankenversicherung", Stand 01.07.2018