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27.02.2019 09:00 Alter: 5 yrs
Kategorie: Gesundheitspolitik, Berufspolitik, GKV-Szene, Praxisfinanzen, Praxismanagement, Zahnheilkunde

„Eine der entscheidenden Fragestellungen war die der Evidenz“

Interview mit KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer


 

Fast vier Jahre lang wurde verhandelt – nun kommen endlich die Früherkennungsuntersuchungen für Kleinkinder. Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), im Gespräch über die Verhandlungen im G-BA.

Interview: Katrin Becker

 

 

KZV aktuell:

Die Verhandlungen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) waren langwierig. Welche Wege mussten Sie gehen?

 

Eßer:

Neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden unterliegen dem sogenannten Methodenvorbehalt, können also vom G-BA nicht einfach als Kassenleistung festgelegt werden. Auch Früherkennungsuntersuchungen fallen darunter. Wir haben daher im März 2015 einen Antrag auf Überprüfung des Nutzens neuer zahnärztlicher Früherkennungsuntersuchungen sowie gezielter Fluoridierungsmaßnahmen im G-BA gestellt, um wesentliche Bausteine unseres Versorgungskonzepts „Frühkindliche Karies vermeiden“ in die Versorgung zu bekommen.

Das Beratungsverfahren im G-BA folgte dabei einem verfahrensrechtlich genau vorgegebenen Ablauf. Nach der formalen Annahme des Antrages hat zunächst eine themenspezifische Arbeitsgruppe, die AG „ECC“, den Antrag inhaltlich beraten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurde mit der Bewertung des derzeitigen Wissensstandes zu Fluoridierungsmaßnahmen beauftragt. Die Rechercheergebnisse wurden ausgewertet und beraten. Anschließend wurde den Fachgesellschaften Gelegenheit gegeben, zu den Beratungsergebnissen Stellung zu nehmen. Letztendlich hat das Plenum des G-BA am 17. Januar die neuen Leistungen beschlossen. Aufbauend auf diesen Beschluss werden sich nun die KZBV und der GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss auf detaillierte Beschreibungen der Leistungen verständigen und über deren Vergütung beraten. Am Ende wird das ein langer, aber erfolgreicher Weg sein.

 

KZV aktuell:

Für Außenstehende ist die Länge der Verhandlungen schwer nachvollziehbar.

 

Eßer:

Das ist für Außenstehende in der Tat nicht einfach nachzuvollziehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei den kleinsten Patienten bislang eine erhebliche Versorgungslücke bei der Kariesprävention bestand. Die Verfahrensdauer im G-BA hatte in diesem Fall mehrere Ursachen: Zum einen sind das die geschilderten formalen Vorgaben und Verfahrensschritte einer Beratung. Hinzu kommen Diskussionen in Arbeitsgruppen und Unterausschüssen, die zwischen den Beteiligten im G-BA zur Ausgestaltung der Leistungen geführt werden. Je unterschiedlicher die Positionen sind, umso mehr Zeit benötigen die Verhandlungen für einen tragfähigen Kompromiss. Bei der Prävention der frühkindlichen Karies lagen die Positionen sehr lange sehr weit auseinander. Erst am Ende der Beratungen konnten wir das Blatt in weiten Teilen mit guten Sachargumenten zugunsten einer sachgerechten Versorgung wenden.

Evidenz immer mit der höchstmöglichen Evidenzstufe gleichzusetzen ist. Für einzelne Leistungen kann es aus ethischen oder methodische Gründen manchmal einfach keine Belege auf der höchsten Evidenzstufe geben. Beim ECC-Beschluss gab es bei der Beauftragung des IQWiG

die Notwendigkeit, den ursprünglichen Auftrag zu modifizieren. Andernfalls hätte das IQWiG aller Voraussicht nach keine Evidenz für die Fluoridlackapplikation gefunden, obwohl es bei der Literaturrecherche genügend Hinweise auf die Wirksamkeit gab. Zudem war bis zum Schluss die Anzahl der neuen Früherkennungsuntersuchungen strittig. Hierzu hatte der Gesetzgeber keine dedizierten Vorgaben gemacht. Auch bei den Inhalten der Untersuchungen und zur Fluoridierung lagen bis zum Schluss dissente Regelungsvorschläge auf dem Tisch. In dieser Situation die notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten, um am Ende ein für alle Beteiligten akzeptables Ergebnis zu präsentieren, das einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung frühkindlicher Karies leistet, war eine der schwierigsten Aufgaben im Beratungsprozess. Umso zufriedener bin ich mit dem Ergebnis: Unsere kleinsten Patienten werden künftig noch besser geschützt. Ihre Voraussetzungen für eine lebenslang gute Mundgesundheit sind durch den Kraftakt der Zahnärzteschaft im G-BA optimiert worden. Der Aufwand hat sich gelohnt!

 

KZV aktuell:

Was müsste sich im G-BA ändern, um zu schnelleren Entscheidungen im Sinne der Patienten zu kommen?

 

Eßer:

Der G-BA und seine Verfahrensabläufe stehen momentan wieder im Fokus der Diskussion zum Terminservice- und Versorgungsgesetz. Natürlich ist es aus Sicht des Berufsstandes wünschenswert, dass Verfahren beschleunigt und nicht aus taktischen Gründen verschleppt werden können. Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine solche Beschleunigung nicht grundlegende Prinzipien der Selbstverwaltung und der evidenzbasierten Zum anderen galt es, zwei besondere Umstände zu berücksichtigen: Kurz nachdem die KZBV den Antrag auf die Einführung neuer Früherkennungsuntersuchungen gestellt hatte, hat der Gesetzgeber mit dem Präventionsgesetz beschlossen, dass der G-BA neue Früherkennungsuntersuchungen für Kleinkinder einführen muss. Dem G-BA wurde damit per Gesetz die Aufgabe übertragen, Zahl und Inhalt sowie Umfang der Untersuchungen festzulegen. Diese Entscheidung hat uns natürlich sehr gefreut, aber sie hatte im G-BA einige verfahrensrechtliche Verwicklungen zur Folge. Zusätzliche Beratungszeit erforderte auch eine Änderung des Auftrags an das IQWiG, das den Nutzen der Fluoridlackapplikation im Milchgebiss bewertet hat. Die Konkretisierung des Auftrags wurde notwendig, um für die Beratung überhaupt verwendbare Ergebnisse bezüglich des Fluorideinsatzes zu erhalten. Durch diese zwischenzeitlichen Änderungen der „Spielregeln“ musste auch das Verfahren im G-BA angepasst werden.

 

KZV aktuell:

Was waren die härtesten Brocken, die es zu überwinden galt?

 

Eßer:

Eine der entscheidenden Fragestellungen in derartigen Verfahren ist sicherlich die der Evidenz, die für die Einführung neuer Leistungen nachgewiesen werden muss. Bei einer unzureichenden Evidenzlage werden Sie im G-BA keine neuen Leistungen begründen können. Allerdings lässt sich darüber streiten, ob eine ausreichende Medizin aufweicht. Das wäre genauso wenig im Interesse der Patienten wie eine über Jahre andauernde Verfahrensdauer. Daher begleitet die KZBV die Diskussionen, wie die Beratungsverfahren im G-BA gestrafft werden können, ohne die Qualität der Beratungsergebnisse zu gefährden, ebenso aufmerksam wie konstruktiv-kritisch. Aus Sicht der KZBV sollten alle Beschleunigungsversuche das Spannungsfeld zwischen möglichst schnellen, aber fundierten und evidenzbasierten Entscheidungen gut austarieren. Es fällt immer wieder auf, wie eminent wichtig das Vorliegen qualitativ guter Evidenz ist. Viele zahnärztliche Verfahren im G-BA haben das Problem, dass es an Studienergebnissen mit höchstmöglicher Evidenz für die beantragten Leistungen fehlt. Aus diesem Grund fordern wir unablässig, auch Studienergebnisse auf der Basis einer bestverfügbaren

Evidenz einzubeziehen. Alles andere führt im Ergebnis zu versorgungsfremden Bewertungsergebnissen. Davon unabhängig ist die Wissenschaft gefordert, jede Anstrengung zu unternehmen, die Evidenzlage in der Zahnmedizin stetig weiter zu verbessern.

Aus dem ECC-Verfahren kann die KZBV auch Schlüsse für künftige Verfahren ziehen. Beispielsweise werden wir noch präziser als bisher die Anträge formulieren und bei dissenten Vorschlägen, bei denen kein Bänke-übergreifender Konsens möglich ist, schneller und fokussierter als bislang auf eine Entscheidung drängen.

 

KZV aktuell:

Welchen Beitrag hat das Pilotprojekt der KZV Rheinland-Pfalz in den Beratungen und für die erfolgreichen Verhandlungen gespielt?

 

Eßer:

Das wissenschaftlich begleitete Modellprojekt der KZV Rheinland-Pfalz hat es uns erlaubt, die jetzt in den GKV-Katalog aufgenommenen Leistungen vorab zu testen. Die Ergebnisse des Evaluationsberichtes belegen zum einen, dass eine ärztliche Früherkennungsuntersuchung den Besuch beim Zahnarzt nicht ersetzen kann, zum anderen eine gut funktionierende Zusammenarbeit von Eltern, Pädiatern und Zahnärzten. Das Projekt hatte also eine wichtige Vorreiterfunktion, deren Bedeutung wir für die Aktivitäten des Berufsstandes gegen die frühkindliche Karies sehr hoch einschätzen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal allen Beteiligten für die geleistete Unterstützung ausdrücklich und herzlich danken! Ebenso wichtig ist aber auch eine Vielzahl weiterer regionaler Projekte wie zum Beispiel die Aktion „ZIMkid“ in Mönchengladbach. Im Zuge dieses Modells verordnen die Kinder- und Jugendärzte keine Fluoridtabletten mehr, dafür informieren sie Eltern im sechsten Lebensmonat des Kindes

über die frühkindliche Karies. Unterstützend überreichen sie einen von der KZV Nordrhein entwickelten Kinderzahnpass, der mögliche Prophylaxemaßnahmen in den ersten sechs Lebensjahren illustriert – mit der Aufforderung, schon in diesem Alter einen Zahnarzt zu konsultieren. Die Zahnärzte untersuchen das sechs Monate alte Kind und übernehmen die Verantwortung für die Fluoridierungsmaßnahmen. Eine Aktion mit Erfolg: In den vergangenen 25 Jahren hat sich der Anteil primär zahngesunder Kinder in den Kindergärten in Mönchengladbach von knapp 38 auf inzwischen rund 76 Prozent verdoppelt. Auch haben viele Versorgungsverträge zwischen KZVen und Krankenkassen dazu beigetragen, die frühkindliche Karies in das Bewusstsein der Eltern und Zahnärzte zu rücken. Insgesamt waren all diese Projekte hilfreich und überaus wertvoll, weil so eindrucksvoll gezeigt werden konnte, dass unsere Vorschläge in der Praxis funktionieren. Zudem konnten wir in den Beratungen im G-BA bereits auf publizierte Erfahrungen zurückgreifen, um unsere Positionen mit belastbaren Daten aus der Versorgung zu unterfüttern. An diesen Tatsachen kamen auch Kritiker im G-BA am Ende nicht vorbei.

 

KZV aktuell:

Wir danken für das Gespräch.

 

Quelle: KZV Rheinland-Pfalz / KZBV