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18.07.2024 13:16 Alter: 214 days
Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene

Scharfe KBV-Kritik an Lauterbach

Gesetzgebung als Flickwerk


 

 

Als „aktionistisch anmutende Taskforce der Gesetzgebung“ hat der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnet – und seine Kritik an dessen aktuellen Gesetzesplänen erneuert. Vor allem ein Gesetz steht im Fokus.

 

„Die ganze Gesetzgebung liest sich so, als gebe es in Deutschland Ärztinnen und Ärzte im Überfluss“, kritisierten Dr. Andreas Gassen, sein Vize Dr. Stephan Hofmeister und Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner Hofmeister die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Mittwochvormittag in einem Hintergrundgespräch mit JournalistInnen in Berlin. Sie betonten dabei einmal mehr den fehlenden Dialog mit der Selbstverwaltung. Gassen sprach von einer „aktionistisch anmutenden Taskforce der Gesetzgebung“. Zwar spreche Lauterbach im Gesetzgebungsverfahren mit allen Akteuren der Selbstverwaltung über seine Vorhaben. Anders als von ihm regelmäßig behauptet, seien die Vorhaben aber nie mit allen Beteiligten abgestimmt, kritisierte Gassen. Entsprechend deutlich fiel die Kritik der KBV-Vorstände an den aktuellen Gesetzesplänen aus. So enthalte das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) mit Ausnahme „zweier zarter Pflänzchen, die immer kleiner werden“ – nämlich die Entbudetierung der hausärztlichen Leistungen und die Einführung einer Bagatellgrenze von 300 Euro bei Regressen – nichts, was die Versorgung verbessern würde. Beispiel Jahres- und Vorhaltepauschalen: Dies sei nicht mit der KBV abgestimmt. Man befinde sich hier mittlerweile „im Reparaturbetrieb, um das Schlimmste zu verhindern“.

 

Lauterbach sei ein Minister, „der alles besser weiß“

 

Er gewinne zunehmend den Eindruck, dass im Gesundheitsministerium regelrecht aneinander vorbeigearbeitet werde, berichtete Gassen. Anders sei nicht zu erklären, dass sich das GVSG und die geplante Notfallreform widersprechen würden. Während das Notfallgesetz Vertragsärzte zum Dienst in Integrierten Notfallzentren verpflichten wolle, sehe das GVSG gleichzeitig Abendsprechstunden für Praxen vor, die künftig eine Vorhaltepauschale bekommen wollen. „Wie soll das funktionieren?“, fragte KBV-Vize Hofmeister. „Wir haben keine Ärztinnen und Ärzte im Keller, die wir bei Bedarf hervorholen können.“ Die ganze Gesetzgebung aus dem Bundesgesundheitsministerium lese sich so, als gebe es in Deutschland Ärztinnen und Ärzte im Überfluss. Hofmeister: „Das ist aber nicht der Fall.“ Lauterbach sei ein Minister, „der alles weiß und alles besser weiß“, ätzte Gassen. KBV-Vorständin Steiner berichtet von einer Anhörung zum Gesundes-Herz-Gesetz, in der Lauterbach alle anwesenden Akteure gegen sich gehabt habe. Sie sprach von einer Gesetzgebung, die die Selbstverwaltung konterkariere. „Bekommen wir dann demnächst Blutdruckgrenzwerte ins Gesetz geschrieben?“

 

Dabei gebe es durchaus positive Ansätze. Mit dem GVSG habe man sich anfangs sogar den großen Befreiungsschlag für die hausärztliche Versorgung erhofft, sagte Hofmeister. Die geplante Jahrespauschale dagegen würde „tief in die Versorgung eingreifen“. Um das umzusetzen, bräuchte es eigentlich ein Einschreibemodell, das aber nicht kommen werde. Stattdessen soll die Selbstverwaltung im Bewertungsausschuss Lauterbachs Plan für Praxen und Kassenärztliche Vereinigungen gangbar machen. „Und am Ende heißt es dann, die Selbstverwaltung hat es mal wieder nicht hingekriegt“, prophezeit Hofmeister. Wenn man das Gesundheitswesen reformieren wolle, müsse man es sorgsam tun, mahnte er. Im Übrigen laufe es nirgends so schlecht, dass man gezwungen sei, überall „die Axt anzulegen“. Er wünsche sich weniger Aktionismus und mehr Ruhe, Dialog und Mitsprache. Man dürfe Gesetze nicht um jeden Preis durchdrücken.

 

Zunehmend „Grenzverletzungen“ der Politik

 

„Wenn man will, dass Patientinnen und Patienten künftig von Public Health Nurses oder Physician Assistants versorgt werden, wenn man ein anderes Gesundheitssystem will, wenn man Staatsmedizin will, muss man es der Bevölkerung sagen“, so Hofmeister. Lauterbachs Gesetzesvorhaben atmeten mittlerweile den Geist, das Gesundheitswesen komplett neu auszurichten. Statt die Praxisstrukturen zu stärken, sehe der Minister die Versorgung künftig in der Hand von Gesundheitszentren oder -kiosken. „Wenn alle Akteure aufschreien“, sollte auch ein Minister einmal innehalten, so Gassen. Doch nicht so Lauterbach. Bei ihm habe er zunehmend den Eindruck, „er hat nochmal eine alte Schublade von Ulla Schmidt geöffnet“ und zerre deren verstaubte Gesetzespläne ans Tageslicht. Es gebe mittlerweile einen „schleichenden Systemwandel“, der irgendwann nicht mehr aufzuhalten sei, so Hofmeister. Er registriere zunehmend „Grenzverletzungen“ der Politik gegenüber der Selbstverwaltung.

 

Hofmeister: „Wir sind nicht so überfordert, dass wir die Bevölkerung nicht versorgt bekommen. Aber wir brauchen Steuerung.“ Seit Jahren schon baue die Politik in der Bevölkerung eine zu hohe Erwartungshaltung auf. „Es kann aber nicht rund um die Uhr alles für alle geben“, betonte Hofmeister und warnte in diesem Zusammenhang vor rund um die Uhr geöffneten INZ. „Das wäre ein weiterer Weg in die ungezügelte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Das System aber sei nicht beliebig verfügbar und finanzierbar, warnte Gassen und wiederholte seine Forderung nach einem Steuerungsmodell mit der Option auf unterschiedliche Versicherungstarife. Die Idee: Patienten, die bereit sind, sich steuern zu lassen, etwa also zuerst einen Allgemeinmediziner aufzusuchen, bekommen von ihrer Krankenkasse eine Rückerstattung. Die Ausgestaltung solcher Tarife sollte man dabei den Versicherungen überlassen. Und wenn sich am Ende herausstelle, dass das für alle im System besser sei, dürfe man ein solches Modell den Versicherten doch nicht vorenthalten. Quelle: änd (ärztenachrichtendienst) am 17. Juli 2024