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08.02.2024 15:14 Alter: 1 year
Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene

Warnstreik der MFA / Bericht im „änd“ (€)

„Wir verdienen viel zu wenig für so viel Verantwortung“


 

 

Mit bundesweiten Warnstreiks hat der Verband der Medizinischen Fachberufe (VMF) am Donnerstagmorgen die vierte Runde der Tarifverhandlungen mit der Arbeitgeberseite eingeläutet. Bei Kundgebungen in Berlin, Hamburg und anderen Städten gingen MFA auf die Straße. Der änd war vor Ort.

 

Die Tarifverhandlungen zwischen Medizinischen Fachangestellten (MFA) und der Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten waren noch nie eine große Sache. Bestenfalls erfuhr die Öffentlichkeit in einer Pressemitteilung von dem Ergebnis. Doch in diesem Jahr ist es anders. Vor dem Gebäude der Bundesärztekammer, wo die Verhandlungen geführt werden, versammeln sich am Donnerstagmorgen rund 200 MFA. Um 11 Uhr sollten dort die Tarifverhandlungen für die MFA fortgesetzt werden. Pünktlich um 9.30 Uhr beginnt ein Pfeifkonzert. „Zum ersten Mal seit 60 Jahren hat der Verband der medizinischen Fachberufe zum Warnstreik aufgerufen“, sagt VMF-Präsidentin Hannelore König wenig später. Die Menge quittiert es mit lautem Jubel und weiteren Pfiffen.

 

Die Aufmerksamkeit der Medien ist ihnen gewiss. Hinter der gläsernen Fassade des Hauses der Bundesärztekammer dagegen rührt sich nichts. Auch an den Fenstern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist niemand zu sehen. Die Solidaritätsbekundungen von Ärzteverbänden erfolgten im Vorfeld schriftlich. König berichtet, dass vereinzelt Kolleginnen nicht zur Kundgebung anreisen durften, weil ihre Arbeitgeber ihnen mit Kündigung gedroht hätten.

 

Zahlreiche Kameras sind auf die VMF-Präsidentin gerichtet, als sie an das Engagement der MFA in der Covidpandemie erinnert: „Ihr habt Deutschland durch die Pandemie gebracht. Und was hat die Bundesregierung getan?“ „Nichts“, rufen MFA zurück. „Die Bundesregierung hat die medizinischen Fachangestellten beim staatlichen Corona-Bonus dreimal ignoriert“, ruft König ins Megafon. Anhaltende Buh-Rufe untermauern ihre Kritik. König erinnert an das Versprechen im Koalitionsvertrag, die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe zu verbessern. „Stattdessen gab es ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, was den medizinischen Fachangestellten mit der neuen Neupatientenregelung noch mehr Arbeit bringt. Es gab Sanktionen, wenn man sich nicht am E-Rezept beteiligt. Stärkung eines Gesundheitsberufs sieht definitiv anders aus“, sagt König weiter.

 

Richtet sich die Kundgebung also doch gegen die Politik und nicht in erster Linie gegen die Arbeitgeber? Der Bundesregierung habe man schon dreimal die Rote Karte gezeigt. Heute gehe es um die Tarifverhandlungen, die bereits seit Oktober andauern. „Wir fordern für die Medizinischen Fachangestellten im ersten bis vierten Berufsjahr ein Einstiegsgehalt von 17 Euro. Damit bringen wir die medizinischen Fachangestellten endlich raus aus dem Niedriglohnbereich“, sagt König unter dem Beifall der versammelten MFA. Aktuell verdienen MFA-Berufsanfängerinnen nach ihren Angaben 13,22 Euro. „Das ist nicht mal einen Euro vom gesetzlichen Mindestlohn entfernt und viel zu wenig für soviel Verantwortung“, sagt sie.

 

„330.000 MFA dürfen nicht abgehängt werden"

 

Der Tarifpartner hatte zuletzt 15 Euro geboten. Das liege noch immer unter dem Lohn für Pflegehilfskräfte mit einjähriger Ausbildung. Wieder signalisiert die VMF-Chefin Verständnis in Richtung der Arbeitgeber, grenzt sich zugleich aber auch ab: „Der ökonomische Druck in den Arztpraxen ist hoch. Aber bitte nicht auf Kosten der medizinischen Fachangestellten“, so König. Die MFA bräuchten eine Gehaltssteigerung, die sich deutlich über der Inflationsrate bewege.

 

„Wenn wir die Gehälter der medizinischen Fachangestellten jetzt nicht nach oben bringen, dann werden immer mehr medizinische Fachangestellten die Praxen verlassen, und das gefährdet die ambulante Versorgung.“ Sie wirbt um Verständnis und Unterstützung dafür, „dass hier ein Gesundheitsberuf mit einer Gruppe von 330.000 Menschen nicht völlig abgehängt werden darf“.

 

Wieder kommt die Politik ins Visier: Es sei gut, dass die Bundesregierung die Pflege gestärkt hat. „Aber die Medizinischen Fachangestellten dürften nicht immer wieder vergessen werden“, fordert König. Sie verweist auf die hohe Qualifikation der MFA und darauf, dass Sozialversicherungsfachangestellte im mittleren Entgelt 54 Prozent mehr verdienen würden als MFA, obwohl sie keine Verantwortung für die Gesundheit hätten und im Beruf keinen Gesundheitsrisiken ausgesetzt seien. In Gesundheitsämtern sei es selbstverständlich, dass Tarifsteigerungen gegenfinanziert würden. Bei MFA nicht.

 

Am Ende zeigt sich König doch wieder solidarisch mit den Arbeitgebern: „Wenn wir heute tatsächlich einen Tarifabschluss für die MFA erreichen, dann brauchen unsere Arbeitgeber logischerweise die Sicherheit, dass das in den nächsten Finanzierungsverhandlungen nicht erst in zwei Jahren, sondern jetzt im Sommer gegenfinanziert wird“, sagt sie, bevor sie zu den Verhandlungen in das BÄK-Gebäude geht, und bekommt auch dafür Applaus.

 

Zeitgleich protestieren auch vor der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg zahlreiche MFA. Nach Angaben der Polizei haben sich dort rund 200 Frauen und Männer versammelt.

 

Klaus Seidel, Vorsitzender des Landesverbands Nord des VMF, ruft aus: „Die Zeit des Stillhaltens ist vorbei!“ Er beschwert sich über die Bezahlung der Fachkräfte. Eine Tarifsteigerung für alle Tarifstufen sei dringend geboten. MFA würden zahlreiche unterschiedliche Tätigkeiten über die eigentlichen Aufgaben hinaus übernehmen. So seien sie unter anderem Putzkräfte – „aber selbst die verdienen laut Tarif mehr als wir“.

 

Er sei enttäuscht darüber, dass sich nur wenige Ärztinnen und Ärzten an der Kundgebung beteiligen würden. „Wo sind die Ärzte?“, fragt er. Bei Ärzteprotesten würden direkt die Praxen geschlossen bleiben und MFA mitprotestieren. MFA würden weniger verdienen zugunsten der Ärztinnen und Ärzte, zum Beispiel „damit der Mercedes in die Waschanlage fahren kann“.

 

Eine Ärztin, die sich am Protest beteiligt, ist Dr. Constanze Stövesand aus Rostock. Die Hausärztin kam mit ihrer gesamten Praxisbelegschaft, mit der sie zusammenarbeite „wie eine Familie". Sie hätten auch als Team für bessere Honorare für die Ärzteschaft protestiert, deshalb sei es für sie selbstverständlich, die MFA-Kundgebung zu unterstützen. Der Protest richte sich gegen die Bedingungen, für die Politiker verantwortlich seien, nicht gegen Ärztinnen und Ärzte. „Ich bin hier, weil ich eine leistungsgerechte Bezahlung sinnvoll finde und gern mehr Geld an meine MFA weiterreichen würde.“

 

„Die Politik ist gefragt"

 

Vanessa Müller aus Hannover hält beim Protest ein Schild mit der Aufschrift „Es reicht: MFA am Limit. Rote Karte für das Gesundheits-System“ in der Hand. Sie ist erst vor Kurzem in den Beruf eingestiegen. Sie habe von den finanziellen Verhältnissen gewusst, die sie erwarten würden. „Aber es macht mir Spaß, mit Menschen zu arbeiten und zu helfen.“ An der Kundgebung nehme sie teil, weil sie auf eine Lohnerhöhung hoffe.

 

Schon seit rund 30 Jahren im Dienst ist hingegen Martina Wöhlke aus Lübeck. Sie sagt: „Das ambulante System geht am Stock“ – und das betreffe die gesamte Gesellschaft, der das nicht bewusst sei. Einerseits würden viele MFA in Kliniken oder zu Kassen abwandern, andererseits sei es schwierig, unter den aktuellen Tarifbedingungen Nachwuchs zu finden. Darüber hinaus seien MFA diejenigen, die die politischen Entscheidungen am meisten zu spüren bekämen. „Wer erklärt den Patienten denn, wie das E-Rezept funktioniert?“ Die Arbeit habe sich stark verlagert zu mehr Bürokratie statt zur Arbeit mit Patientinnen und Patienten. „Die Politik ist gefragt, wir brauchen eine Gegenfinanzierung im ambulanten Bereich.“

 

Der KV-Hamburg-Vorstand kommt unterdessen nicht zur Kundgebung. KV-Chef John Afful hatte aber am Tag vorm Protest mitgeteilt, „die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist ohne gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlicht nicht möglich – die Arztpraxen sind auf ihr Personal angewiesen und wollen es entsprechend gut bezahlen". Quelle: änd am 8. Februar 2024