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Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene
„Investoren hebeln Kern der Freiberuflichkeit im Gesundheitswesen aus“
ZÄKWL und KZVWL beziehen dezidiert Position zu iMVZ
Kammer- und Vertreterversammlung der zahnärztlichen Körperschaften in Westfalen-Lippe beschäftigen sich intensiv mit der zunehmenden Ausbreitung von investorengetragenen zahnmedizinische Versorgungszentren (iMVZ). Der Gesetzgeber reagiert nur langsam mit Regelungen. Dabei bedrohen Investoren den Kern der ambulanten zahnärztlichen Versorgung: selbstständige Zahnärztinnen und Zahnärzte sichern diese in ihren Praxen flächendeckend und wohnortnah.
Bundesweit liegt der Anteil der iMVZ an allen MVZ Ende 2022 mittlerweile bereits bei 29 Prozent, mit steigender Tendenz. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) und die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL) machen eindringlich auf die Folgen der rasanten Verbreitung aufmerksam. Der Gesetzgeber reagiert entgegen vollmundiger Ankündigungen des Ministers Lauterbach bislang nicht im erforderlichen Maß.
Eine Analyse zeigt:
- iMVZ leisten dabei keinen nennenswerten Beitrag zur Versorgung in strukturschwachen, ländlichen Gebieten. So siedeln sich 80 Prozent der iMVZ im städtischen Bereich an.
- An der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderung im Rahmen der aufsuchenden Versorgung nehmen iMVZ kaum teil. Auch bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit präventiven Leistungen der Individualprophylaxe leisten iMVZ einen deutlich unterdurchschnittlichen Beitrag.
- Eine steigende Zahl von iMVZ konzentriert sich auf nur wenige Inhaber: Die beiden Investoren mit den meisten iMVZ verfügen derzeit über je 82 Standorte. Zudem gibt es häufige Inhaberwechsel. Aus Gründen der Gewinnmaximierung halten die Private-Equity-Investoren eine MVZ-Kette für vier bis fünf Jahre, um sie dann wiederum an den Meistbietenden zu verkaufen.
- iMVZ haben mit lediglich 33 Prozent die schlechteste Teilzeitquote von allen Praxisformen. Dies widerspricht der häufig von Investoren vorgetragenen Argumentation, iMVZ würden im Gegensatz zu den etablierten Praxisformen und Inhaberstrukturen die Wünsche junger Zahnärztinnen und Zahnärzte nach Anstellung und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser berücksichtigen.
- Folge von Unternehmensinsolvenzen ist nicht geregelt. In diesem Fall beträfe die Pleite alle MVZ in der Trägerschaft des jeweiligen Unternehmens und könnte zu einer großflächigen Lücke in der Versorgung führen.
- Die Gewinne aus den Versichertenbeiträgen der gesetzlichen Krankenkassen fließen überwiegend ins Ausland ab und werden dort versteuert.
Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender KZVWL: „Es geht nicht, dass Patientinnen und Patienten so im Unklaren gelassen werden, ob ein MVZ von einem Investor getragen wird. Die nutzen geschickt ein Schlupfloch im Gesetz, kaufen ein kleines Krankenhaus irgendwo und erwerben damit die Möglichkeit, in ganz Deutschland zahnmedizinische Versorgungszentren zu gründen. Die Freiberuflichkeit gibt es in Deutschland aus gutem Grund: Selbstständige Zahnärztinnen und Zahnärzte verteilen sich analog der Bevölkerung auf städtische und ländliche Regionen, während die Investoren-MVZ fast ausschließlich in finanziell lukrative Stadtlagen gehen. Die problematische Versorgung in strukturschwachen und ländlichen Bereichen bleibt auf der Strecke.“
Jost Rieckesmann, Präsident der ZÄKWL: „Es steht die gesamte freiberufliche, selbstständige, zahnärztliche Infrastruktur auf dem Spiel. Die Ausbreitung der Ketten-MVZs in Investorenhand läuft weiter und wird bisher gesetzgeberisch kaum reguliert. Wenn hier nicht bald klare Strukturen geschaffen werden, steuern wir unaufhaltsam auf ein überwiegend renditeorientiertes, rein kapitalistisches Gesundheitswesen zu.“
Vorschläge der Zahnärzteschaft
Die Vorschläge der Zahnärzteschaft, wie der künftige Umgang mit iMVZ aussehen könnte, liegen bereits seit einiger Zeit auf dem Tisch:
Die ärztliche und zahnärztliche Versorgung dürfen nicht den Prinzipien der Gewinnmaximierung geopfert, vielmehr muss die fortschreitende Vergewerblichung des Gesundheitswesens endlich wirksam gestoppt werden! Dabei gilt es den Besonderheiten der zahnärztlichen Versorgung Rechnung zu tragen. Ein räumlicher und – das ist wichtig – auch fachlicher Bezug eines Trägerkrankenhauses muss gesetzlich zur Voraussetzung der Gründungsbefugnis eines Krankenhauses von iMVZ gemacht werden. Darüber hinaus ist die Verpflichtung für iMVZ-Betreiber, auf Praxisschildern und Websites Angaben über Träger- und Inhaberstrukturen zu machen, dringend erforderlich.
Mehr Informationen:www.zahnaerzte-wl.de/pages/gesundheitspolitik
Quelle: Gemeinsame Presseinfo von KZVWL und ZÄKWL am 22. Mai 2023