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Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene, Kommentare
Interview: KZBV-Chef Eßer zu Lauterbachs GKV-Spargesetz
„Wir bleiben hart und sind wenig kompromissbereit“
In der kommenden Woche wollen Vertragsärzte in Berlin und im Rheinland ihren Unmut über das geplante GKV-Spargesetz kundtun. Doch wie denken eigentlich die Zahnärzte über die Streichliste von Bundesgesundheitsminister Lauterbach? Der änd fragte nach bei Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.
Herr Dr. Eßer, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach muss rund 17 Milliarden Euro im GKV-System einsparen. Deshalb hat er das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Was halten die Zahnärzte davon?
Der Gesetzesentwurf des Gesundheitsministers, begleitet mit der Ankündigung, er gehe davon aus, dass dieser ohne jegliche Änderung durch das Gesetzgebungsverfahren im deutschen Bundestag gehen würde, hat in der Zahnärzteschaft verständlicherweise Unverständnis und auch Ärger ausgelöst.
Woran entzündet sich dieser Ärger?
Die Einführung einer Budgetierung für den Bereich des Gesundheitssystems, der durch konsequenten Ausbau von Prophylaxe und Prävention seinen Kostenanteil an den GKV-Kosten von 2000 bei neun Prozent liegend auf heute nur sechs Prozent heruntergefahren hat, ist nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass während der Pandemie die Kolleginnen und Kollegen und das medizinische Fachpersonal die zahnmedizinische Versorgung unter schweren Bedingungen und ohne finanzielle Mehrkosten für das System aufrechterhalten haben. Da stoßen solche Ankündigungen auf großes Kopfschütteln. Das ist aber nur ein Teil unserer Kritik.
Was stört Sie noch?
Im vergangenen Jahr wurde gemeinsam mit den Krankenkassen, den Kollegen und Kolleginnen der Ärzteschaft und den Fachgesellschaften die moderne, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen - und dies unter Mitwirkung des Bundesgesundheitsministeriums. Neben den unmittelbar positiven Auswirkungen für die Zahngesundheit verhindert die Paradontitis-Therapie Herz-Kreislauferkrankungen, die Wechselwirkung mit Diabetes ist wissenschaftlich belegt und weitere durch die chronischen Entzündungen ausgelösten Krankheiten unterstreichen die Bedeutung der Paradontitisbehandlung. Es war daher ein großer Durchbruch und Meilenstein über die allgemeine Mundgesundheit hinaus, die dreijährige sogenannte „Therapiestrecke“ in den GKV-Leistungskatalog aufzunehmen. Über das Instrument der Budgetierung entzieht das Gesetz der Versorgung die erforderlichen finanziellen Mittel mit gravierenden Folgen: Begonnene Behandlungen, die sich nach der Richtlinie über drei Jahre erstrecken, können dann zu Teilen nicht zu Ende geführt und neue Behandlungen nicht begonnen werden. Die Geschädigten sind in erster Linie die Versicherten, denen der rechtlich zugesagte Leistungsanspruch auf eine wirksame Parodontalbehandlung quasi durch die Hintertür wieder entzogen wird. Dies betrifft über 30 Millionen Versicherte, die an einer Parodontitis erkrankt sind und dringend einer wirksamen Therapie bedürfen. Die Kosten einer einmaligen Paradontitis-Behandlung sind am Ende gar nicht mehr mit den Belastungen für das GKV-System durch Kosten möglicher Behandlungen für mögliche Langzeiterkrankungen in Relation zu setzen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach verteidigte sein Vorgehen mit dem Argument, neben den Beitragszahlern und den Krankenkassen müssten auch die Vertragszahnärzte und -ärzte ihren Beitrag zur Kostendämpfung leisten. Was ist an diesem Ansatz verkehrt?
Verkehrt ist an dem Ansatz im Grunde gar nichts. Es steht außer Frage, dass das GKV-System einer grundlegenden Reform bedarf. Leider springt die Politik mit diesem Gesetz viel zu kurz und löst damit nur die aktuellen Finanzprobleme der Krankenkassen, es handelt sich allenfalls um ein temporäres „Pflaster“. Um im medizinischen Duktus zu bleiben: Eine komplizierte OP wäre hier dringend notwendig. Hier sind wir als Zahnärzteschaft bereit, uns konstruktiv einzubringen und auch unseren Beitrag zu einer echten Reform zu leisten. Dazu fehlt zurzeit noch der Mut, spätestens nächstes Jahr wird der Leidensdruck so groß sein, dass die Reform kommen wird. Es dürfte der Hektik des Verfahrens geschuldet sein, dass die Konsequenzen des neuen § 85 nicht gesehen wurden. Wir bringen uns daher konstruktiv in das Gesetzgebungsverfahren ein und schlagen eine konkrete Lösung vor, die diesen Kollateralschaden für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten verhindert.
Wie optimistisch sind Sie Lauterbachs Vorhaben, die die Zahnärzte betreffen, im Gesetzgebungsprozess noch abwenden zu können?
Wir arbeiten als KZBV gemeinsam mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und anderen Verbänden, Organisationen und Körperschaften des Gesundheitswesens mit aller Energie daran, die Auswirkungen dieses Gesetzes für die Patientinnen und Patienten abzumildern. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat unsere fachlich fundierten Hinweise bereits zum Anlass genommen, eine Änderung des Gesetzes in diesem Punkt zu fordern. In den anstehenden Gesprächen mit der Bundespolitik und auch dem Gesundheitsminister sind wir sehr zuversichtlich, eine Lösung zu erzielen, die nicht auf dem Rücken und zulasten der Gesundheit der Patienten und Patientinnen ausgetragen wird.
Die Zeit des Hinnehmens sei vorbei, kündigten Sie bei der jüngsten Vertreterversammlung der KZBV in Dresden an. Lauterbach müsse sich auf heftigen Widerstand der Kassenzahnärzte einstellen. Wird sich der Widerstand in Drohungen vor Leistungskürzungen erschöpfen? Oder welche weiteren Protestaktionen sind geplant?
Es gehört zum System der Selbstverwaltung, aktiv zu gestalten, mitzuwirken und auch zu mahnen und zu intervenieren, wenn die Rahmenbedingungen durch die Politik so verändert werden, dass die Gesundheitsversorgung geschwächt wird. Dies ist ja kein reiner Selbstzweck, es geht um die sichere und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung in den Städten und auf dem Land. Es ist wichtig, dies bei allen politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Gefühlslage bei der Veröffentlichung habe ich eingangs geschildert. Nun steht der Bundestag kurz vor der ersten Lesung, das Verfahren befindet sich also auf der Ziellinie. Hier nimmt gerade die KZBV als Interessenwahrer auf Bundesebene ihre Verantwortung wahr und wird alles dafür tun, die relevanten Entscheider dafür zu sensibilisieren, welche Auswirkungen diese Budgetierung für eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen der letzten Jahre hätte.
Ich bin der festen Überzeugung, gemeinsam mit den Fachgesellschaften, Patientenvertretern und der Unterstützung der zahlreichen engagierten Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern werden wir dieses Ziel erreichen.
Kritiker fürchten, dass das geplante Gesetz junge Zahnärztinnen und Zahnärzte von einer möglichen Niederlassung abschrecken könnte und zu einem Konjunkturprogramm für die Investoren-MVZ werden könnte. ZuR echt?
Unabhängig von diesem Gesetz sinken die Niederlassungszahlen seit Jahren, während der Anteil der angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte steigt. Der Versuch des Gesetzgebers nun über eine Budgetierung – mit den genannten erheblichen Auswirkungen in erster Hinsicht für die Patientinnen und Patienten – die Rahmenbedingungen für die Zahnärzte zu verschlechtern, wird dies sicher nicht verbessern. Vor dem Hintergrund der herausfordernden persönlichen Anforderungen, die der Beruf an Selbständige stellt, sowie der enorm hohen Investitionskosten ist eine Niederlassung sowieso ein Kraftakt. In den letzten Jahren sind die Hürden für eine Niederlassung durch eine steigende Inflation und den Fachkräftemangel, besonders in ländlichen Gebieten, nochmals höher geworden. Dies braucht weitreichendere Maßnahmen.
Dieses Gesetz wird dazu keinesfalls einen positiven Beitrag leisten. Ihre Frage wirft auch ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die wir mit Sorge sehen, dass Private Equity-Unternehmen und Fremdinvestoren in den zahnärztlichen Bereich massiv und nahezu ungehindert eindringen. Einen Beitrag, die Vergewerblichung der Versorgung mit all ihren fatalen Folgen, die ich nicht müde werde, seit Jahren aufzuzeigen, zu verhindern, wird dieses Gesetz nicht leisten.
Hat das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz das Potenzial, das Verhältnis zwischen Bundesgesundheitsministerium und der Vertragszahnärzteschaft nachhaltig zu erschüttern?
Das deutsche Gesundheitssystem ist unter anderem auch deswegen eines der besten der Welt, weil es auf den Prinzipien der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung beruht und bei allen Konflikten zwischen den Akteuren und auch solchen mit der die Rahmenbedingungen setzenden Politik am Ende stets Lösungen gefunden wurden -, die von allen Partnern, wenn auch mal mit mehr oder weniger Zufriedenheit im Sinne der Versorgungssicherheit mitgetragen wurden.
Dies bedarf auch harter Auseinandersetzungen, denn Gesundheitspolitik ist „Politik“ und damit verbunden sind manchmal auch harte Bandagen. Wir sind zuversichtlich, dass der Gesundheitsminister dies in seiner Rolle als Minister, aber auch als Mediziner verinnerlicht hat und am Ende der Schaden von den Patienten abgewendet werden wird. In dem Punkt bleiben wir hart und sind wenig kompromissbereit. änd am 04.09.2022, 07:09, Autor/-in: mm