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22.02.2022 11:15 Alter: 2 yrs
Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene, Medien & Internet, Praxismanagement

Offener Brief zur TI 2.0

Auch viele Zahnärzte haben ernste Sorgen und Bedenken


 

 

Bis zum Jahre 2025 soll eine „telematische Infrastruktur 2.0" die heute existierende Vernetzung des Gesundheitswesens ablösen. Damit zieht die Projektgesellschaft Gematik u.a. die Konsequenzen aus dem Netzwerkausfall im Jahr 2020. So sollen die in Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken eingesetzten Konnektoren als „proprietäre IT-Lösungen" durch "offene Zugangsschnittstellen im Internet" ersetzt werden. Auch das Stammdatenmanagement der Versicherten mit einer elektronischen Gesundheitskarte werde dann durch einen Internetdienst der jeweiligen Krankenkasse abgelöst.

 

Das von der Gematik hierzu vorgelegte Whitepaper „TI2.0 – Arena für digitale Medizin“ hatte laut heutigem Bericht von Quintessence News  die bayerischen Ärzte kürzlich veranlasst, ihre gravierenden Bedenken gegen die geänderten Digitalisierungspläne dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages in einer Anhörung - nach schnellem Erreichen des erforderlichen Quorums - vorzutragen.

 

Auch zahlreiche zahnärztliche Praxen sehen bei TI2.0 begründeten Anlass zur Skepsis: Zahnärztinnen und Zahnärzte der Bezirksstellen Siegen-Olpe-Wittgenstein, Unna, Lippe, Bottrop, Hamm, Dortmund, Herne, Lippstadt, Ahaus-Coesfeld, Warendorf, Gelsenkirchen, Meschede, Bielefeld, Hagen, Minden-Lübbecke, Paderborn, Arnsberg und Steinfurt haben diese Sorgen jetzt in einem offenen Brief zum Ausdruck gebracht, den sie an den Geschäftsführer der Gematik, Herrn Dr. Markus Leyck Dieken, und den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Joseph Laumann, richten. In Summe haben bisher 738 Zahnärztinnen und Zahnärzte in Westfalen-Lippe diesen Brief unterzeichnet. Sie hoffen damit eine konstruktive Diskussion in Gang zu bringen, die ja letztlich im Interesse einer möglichst optimalen Patientenversorgung erfolge.

 

Wir veröffentlichen hier den an Herrn Dr. Dieken und Minister Laumann adressierten Offenen Brief:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Dieken,

 

sehr geehrter Herr Laumann,

 

wir wenden uns heute persönlich an Sie, um aus der Perspektive der Zahnarztpraxen in unserer Bezirksstelle Siegen-Olpe-Wittgenstein unsere Sorgen und Bedenken zum Projekt TI 2.0 kundzutun. Die Anbindung an die Telematikinfrastruktur ist mit heutigem Stand weitgehendst flächendeckend erfolgt. Dies zeigt, dass sich die Zahnärzteschaft diesem Thema gegenüber aufgeschlossen zeigt und die Umsetzung so zügig, wie es unter den gegebenen Prämissen möglich war, erfolgt ist.

 

Dies erforderte Zeitaufwand und eine intensive Beschäftigung mit dem Thema. Eine gewisse Enttäuschung gibt es aber darüber, dass es bisher keinen sichtbaren Nutzen für die Praxen gibt, wie zum Beispiel schnelle anamnestische Informationen.

 

Große Beachtung fand nunmehr das von der Gematik vorgelegte Whitepaper „TI2.0 – Arena für digitale Medizin“. Dieses sicherlich ambitionierte Projekt beinhaltet die Ablösung bisher mit großem Geld- und Zeitaufwand installierter Komponenten, bevor diese in adäquater Form nutzbringend zum Einsatz kamen. Dies ist in unseren Augen völlig inakzeptabel, insbesondere vor dem Hintergrund knapper finanzieller Ressourcen im Gesundheitswesen, aber auch vor dem Hintergrund knapper zeitlicher Ressourcen in den Praxen, denn auch bei uns zeichnet sich ein Fachkräftemangel ab. Und auch die Corona-Situation nötigt uns dazu, wirklich mit allen verfügbaren Kräften unseren Patienten zur Verfügung zu stehen, deren Versorgung stets absoluten Vorrang hat.

 

Deshalb haben wir auch keinen zeitlichen Spielraum für digitale Experimente. Als solche muten aber die im Whitepaper beschriebenen Vorhaben an. Sie sind auch nach Meinung von Fachleuten so kompliziert, dass sie von den Kolleginnen und Kollegen kaum verstanden werden können und selbst renommierte PVS Hersteller Bedenken haben, hier noch den Praxen zur Seite stehen zu können. Die ist besonders für kleine Praxen ein massives Problem. Man mag über die Zukunft der Einzelpraxen denken wie man will, aber es sind gerade diese Praxen, die insbesondere im ländlichen Raum die Sicherstellung der Versorgung gewährleisten. Wir wissen auch, dass eine Vielzahl von Kollegen ihre Praxen über das Pensionsalter hinaus führen, um bei schwieriger Nachfolgesituation ihre Patienten nicht im Stich zu lassen. Die Gefahr ist groß, dass sie Ihre Praxistätigkeit allein vor dem Hintergrund einer nur schwer und mit extremem Aufwand zu gewährleitenden Datensicherheit aufgeben. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach dem Nutzen solcher Entwicklungen. Dies sei an dem sogenannten e-rezept verdeutlicht:

 

  • Wie viele Patienten nutzen ein Smartphone?
  • Wie viele von denen sind vor dem Hintergrund von datenschutzrechtlichen Bedenken bereit, es für das e-rezept zu nutzen?
  • Wie viele von denen verfügen über ein Smartphone, dessen Sicherheitskomponenten die Nutzung zulassen?

 

In Summe kommt hier nur ein kleiner Prozentsatz der Patienten zum Tragen bei immensem Aufwand. Die Belastbarkeitsgrenze in den Zahnarztpraxen ist definitiv erreicht.

 

Deshalb fordern wir:

 

  • Einen verantwortlichen Umgang mit finanziellen Ressourcen
  • Eine sorgfältige Aufwands- und Nutzenabwägung bei zukünftigen Vorgaben
  • Einen Schutz der Praxen vor weiteren Belastungen
  • Konzepte, die auch für alle Praxen überschaubar und handhabbar sind
  • Lediglich den Einsatz solcher Komponenten, die ausgereift und sicher sind

 

Wir ersuchen Sie dringend, das Whitepaper TI2.0 dahingehend kritisch zu überprüfen. Sie gehen sicherlich mit uns d`accord, dass sowohl die Patientenversorgung als auch die Sicherheit im Umgang mit sensiblen Patientendaten absolute Priorität haben, auch vor ambitionierten Projekten der Digitalisierung.

 

Nur wenn diese Prioritäten gewahrt bleiben, sind wir bereit, uns wie bisher in die Weiterentwicklung der Telematik-Infrastruktur einzubringen. Alles andere ist mit unserer Auffassung von Verantwortung für unsere Patienten nicht zu vereinbaren.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

V.i.S.d.P.:

 

Dr .med. dent. Norbert Baake

 

Hauptstrasse 52

 

57074 Siegen

 

Tel.0271 / 61722