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01.12.2021 10:16 Alter: 2 yrs
Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene, Kommentare

Was Bleibt?

Ein politischer Nachruf


 

 

Veröffentlichung dieses Kommentars mit freundlicher Genehmigung von Dr. Michael Loewener (Wedemark) für Zahnärzte für Niedersachsen – ZfN

 

Zum Abschluss einer Legislaturperiode ist es nicht schlecht, eine Bilanz der geleisteten Arbeit zu ziehen. Und es ist bei der Regierungsarbeit der letzten Jahre zweifellos viel gearbeitet und „auf den Weg gebracht“ worden, wie es oftmals nicht ohne Stolz heißt. Das ist ein schwieriger Akt bei einer Koalition aus zwei Parteien, die vom Grundsatz her eigentlich nicht für einander geschaffen sind. Während die eine Partei dem wirtschaftlichen Geschehen als Quelle wachsenden Wohlstandes das meiste Augenmerk widmete, strebte die andere die soziale Verbesserung von der Basis heran. Ob mehr oder weniger Kapitalismus zu mehr sozialem Frieden und zu mehr Wohlstand führt, muss jeder in dieser Zeit für sich selbst entscheiden. Fakt ist, dass eine Regierungspolitik, die auf ständige Kompromisslösungen angewiesen ist, keinen eindeutigen Kurs fahren kann und daher auf der Stelle tritt. War das schon während der letzten Jahre schwierig, so traten die Differenzen, zunehmend gepaart mit Lustlosigkeit, auf dem Sterbebett der Großen Koalition noch deutlicher zutage. Man musste den Eindruck gewinnen, dass der Kapitän/die Kapitänin samt Mannschaft bereits abgemustert hatten, während die neue Crew noch mit der Kleiderordnung beschäftigt war. Verantwortung sieht anders aus. Die so wichtigen und vorausblickenden Entscheidungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden nach wie vor nur im Nachgang getroffen, nachdem Wissenschaftler, Ärzteverbände, Interessenvertreter und nicht zuletzt die Presse die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen als unausweichlich schildern. „Politik on demand“ gewissermaßen. Parteipolitische Scharmützel – gerne auch aus dem Süden – kamen hinzu und dilatierten unnötigerweise das Elend und die Unentschlossenheit. Offensichtlich hat es die Politik versäumt, die parteipolitische Bewertung in den Hintergrund zu stellen. Und der Gesundheitsminister schien bereits im Vorruhestand zu sein.

 

Was hat Spahn in Sachen Gesundheit geleistet?

 

Der Bundesminister für Gesundheit hat sich in den vergangenen Jahren mit Verve der Digitalisierung des Gesundheitssystems gewidmet. Im Prinzip eine notwendige und selbstverständliche Entwicklung. Er hat dabei vornehmlich und gezielt der Digitalindustrie „aufs Fahrrad“ geholfen, und er hat die „gematik“ majorisiert, die sich als unermüdlicher Digital-Treiber präsentiert. Die Umsätze sowie die Gewinne der Softwareindustrie sind dabei auf unabsehbare Zeit befördert und gesichert worden, während die Ärzteschaft mit Sanktionen bedroht und die Kassen der Krankenkassen bis auf einen Bodensatz entleert worden sind. Als Ausdruck ständigen Misstrauens wurde die Prüfbürokratie mit neuen Behörden mit pensionsberechtigtem Personal aufgebläht. Die ärztliche Expertise scheint weitgehend entbehrlich.

 

… und was hat er nicht geleistet?

 

Fragen über Fragen. Hat der Bundesgesundheitsminister die Digitalisierung der Gesundheitsämter in gleichem Maße vorangetrieben wie die Zwangsdigitalisierung der ärztlichen Praxen, bei denen die „gematik“ selbst bereits mit der TI 2.0 die Totenglocken für die ebenso teuren wie komplexen Konnektoren läutet? Hat der Platzhalter des Ministers bei der „gematik“ nicht schon lauthals über die Cloud-Lösung nachgedacht – koste es, was es wolle? Zur selben Zeit wird in der Corona-Krise von Faxgeräten in den Gesundheitsämtern berichtet. Oder hat der Minister in seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass die Fallpauschalen außer Kraft gesetzt werden, die Krankenhäuser dazu nötigen, schwarze Zahlen zu schreiben und sich auf OPs zu konzentrieren, die eine möglichst hohe Gewinnmarge versprechen, um den Betrieb nicht zu gefährden? Ist nicht infolge dieser Denke das Personal ausgedünnt und ausgenutzt worden? Immerhin gab es stehenden Applaus! Niemand würde auf die Idee kommen, die Ausrüstung und das Personal der Feuerwehr durch Brandschäden oder die Polizei je nach Höhe ihrer Aufklärungsrate zu finanzieren. Hat der Minister in seiner Amtszeit verhindert, dass das deutsche Gesundheitssystem von privaten Investoren mit Gewinnabschöpfung okkupiert wird? Während in der Parteienlandschaft inzwischen über das trickreiche Wirken von investorgetriebenen MVZs – insbesondere in der Zahnmedizin – heftig nachgedacht wird und die Gesundheitsministerkonferenz bereits ein Umsteuern fordert, zeichnete sich Spahn allenfalls durch Halbherzigkeit aus. Erst einmal beobachten, lautete seine Empfehlung, während Investoren weiterhin expandieren. Apropos Zahnheilkunde: Hat er sich nach 33-jährigem Stillstand jemals für eine Erhöhung des GOZ-Punktwertes eingesetzt? Das nenne ich ministrable Verachtung eines Berufsstandes. Hat sich der Minister bei seiner Kollegin Klöckner dafür eingesetzt, dass das Verfüttern von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung umgehend eingestellt wird, um Menschenleben zu retten? Hat er sich dafür eingesetzt, dass zumindest gängige Arzneimittel in Europa hergestellt werden und nicht am anderen Ende der Welt? Und das permanente Beschaffungsversagen während der Pandemie und das gegenwärtige Impf-Chaos sprechen Bände.

 

Ein Minister Spahn, der mit großer Hingabe und Liebe an seiner Karriere schnitzt wie ein Mittenwalder Madonnenschnitzer und dabei verantwortungsvolles und geordnetes Planen zur Eindämmung einer Pandemie vermissen lässt, läuft Gefahr, als bloßer Karrierist entlarvt zu werden.

 

Tradition in der Missachtung eines Berufsstandes

 

Wenn wir an die Namen Ehrenberg, Schmidt, Fischer, Gröhe und letztlich Spahn denken, so haben sich alle Gesundheitsminister (m/w/d) der letzten Dekaden durch eine mehr oder minder ausgeprägte Geringschätzung des ärztlichen Berufsstandes ausgezeichnet. In dieses Raster passt auch der letzte Spruch des Landes-Gesundheitsministers Laumann, der kürzlich den Ärzten denunziatorisch geraten hatte, am Sonnabend nicht auf den Golfplatz zu gehen, sondern die Zeit zum Impfen zu nutzen! Er hat sich dafür entschuldigt, aber mit seiner Entgleisung tiefen Einblick in seine Denke gegeben. Gleichzeitig haben es alle Gesundheitsminister auf mysteriöse Weise verstanden, bei ärztlichen Kongressen und Versammlungen Beifall für ihre geschmeidigen und eloquenten Grußbotschaften zu erhalten. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie sich diese Tradition unter einer neuen Koalition fortsetzen wird. Ich ahne nichts Gutes!

 

Wann endlich wird eine Bundesgesundheitsministerin oder ein Bundesgesundheitsminister genügend Persönlichkeit, Unvoreingenommenheit, Charakter und idealerweise noch Sachverstand mitbringen, um die Akteure unseres hervorragenden Gesundheitssystems fair zu behandeln und die Gesundheit der Bevölkerung und nicht die Gesundheitspolitik als vordringlich zu betrachten? Es bleibt die Hoffnung.

 

Dr. Michael Loewener, Wedemark

 

Zahnärzte für Niedersachsen – ZfN