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12.02.2020 17:47 Alter: 4 yrs
Kategorie: Berufspolitik, Gesundheitspolitik, GKV-Szene

Keine Angst vor Heuschrecken!

„Die Konzepte der investorengesteuerten Z-MVZ sind erschreckend eindimensional!“ Reinhard Bröker mit einem nüchternen Blick auf einen Hype


 

 

Partielle Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion von Quintessence News:

 

Vor gut einem Jahr schlugen die Wellen hoch: Die Heuschrecken sind im Dentalbereich angekommen! Investoren bedrohen die Zukunft der freien Zahnärzteschaft und das Wohl der Patienten, hieß es. Ein kritischer Blick auf die eher ernüchternde Realität. Die Thesen und Positionen, die die zahnärztliche Standespolitik in dieser Zeit aufgebracht hat und zum Teil bis heute vertritt, marginalisierten die sinnvollen Aspekte von Kettenbildungen (Zukunftsmodelle angesichts der steigenden Zahl von Frauen im Beruf , Kostenlast der Privatpraxis, Nachfrage nach flexiblen Arbeitszeitmodellen, Standardisierungsvorteile von Verbünden/Ketten etc.); das Feindbild, das gegenüber den Private-Equity-Gesellschaften aufgebaut wurde, lief zeitweise auf das unsinnige Dogma hinaus, dass Geld verdienen in der Praxis unethisch sei. Die über Nacht gestrickte Novellierung des TSVG führte nur dazu, dass die Investoren nun weniger Möglichkeiten in der unstrittig ausblutenden ländlichen Versorgung wahrnehmen können und sich darum umso mehr auf die Ballungszentren konzentrieren müssen, obwohl genau das von den Standesvertretern moniert worden war.

 

Von verhärteten Positionen zum „Keep cool“

 

Jenseits der in ihren Positionen verhärteten Diskussion über die Vor- und Nachteile von Z-MVZ und sogenannten I-MVZ, die nur von Dr. Wieland Schinnenburg – Zahnarzt, Rechtsanwalt, Bundestagsabgeordneter der FDP und Mitglied des Gesundheitsausschusses – sachlich und unvoreingenommen auch öffentlich geführt wird, würde ein Blick auf die Hintergründe des Investoren-Engagements ausreichen, um aus der Hysterie einen Keep-Cool-Ansatz zu machen. Alles halb so wild – die Heuschrecken werden sich vermutlich selbst fressen, aber vorher einigen Zahnärzten kurz vor Erreichen der Altersgrenze noch mal einen Schwung Geld auf das Konto überweisen. Vor allem junge Heuschrecken neigen nämlich dazu, ihre Artgenossen zu verspeisen. Und jung sind sie alle, die Heuschrecken im Zahnarztmarkt. Und gefräßig sind sie besonders, wenn sie noch nicht fliegen können. Und so, wie es aussieht, werden sie das Fliegen auch nicht lernen. Ein Blick auf die erschreckend eindimensionalen Konzepte, die die meisten Investoren im deutschen Zahnarztpraxismarkt umsetzen, zeigt, wie wenig Flugpotenzial vorhanden ist. Aber der Reihe nach.

 

1. Investoren kennen den Dentalmarkt nicht

 

Private-Equity-Firmen haben zwar gesehen, dass der deutsche Praxismarkt stark fragmentiert ist (also aus ganz vielen, relativ kleinen Einheiten ohne Verbundbestrebungen besteht), aber ansonsten wissen sie nur sehr wenig von seinen Eigenheiten. Sie wissen nicht, ob und warum die Fragmentierung das Ergebnis eines Einzelkämpferbewusstseins ist, noch, mit welchen dieser Marktteilnehmer ein nicht-fragmentiertes Konzept durchführbar wäre. Sie glauben, dass Praxen letztlich wie kleine Industriefirmen (oder Elektroläden oder Lebensmittelmärkte) funktionieren und durch Standardisierung und Strukturierung egalisiert werden können. Erfolgskonzepte unterschiedlicher zahnmedizinischer Konzepte kennen sie nur oberflächlich: Implantologie sei rentabel, Kinderzahnheilkunde sei unrentabel, Abrechnungsoptimierung sei gut, Teamzufriedenheit nebensächlich. „Weiche“ Konzepte, Motivationsförderung, Kommunikationsschulung, Ganzheitlichkeits-Ansätze sind ihnen eher suspekt und stehen auf ihrer Agenda (wenn überhaupt) ganz weit unten. Sie wissen nicht (oder es wird als irrelevant angesehen), dass das einzige, vielleicht vergleichbare Dentalunternehmen, die Laborgruppe Flemming-Dental GmbH, seit Jahrzehnten unterm Strich immer noch kein Geld verdient hat, seinen Gesellschaftern 55 Millionen Euro schuldet und einen Bilanzverlust von mehr als 25 Millionen Euro vor sich herschiebt. Nach zahlreichen Investoren-Aus- und Einstiegen hält sich Flemming-Dental zwar am Markt, konnte aber gegenüber den gewerblichen, ebenfalls stark fragmentierten Dentallaboren nur einen verschwindend kleinen Marktanteil erobern. Nordic Capital, die letztlich Eigentümer von Flemming-Dental sind, scheint das nicht als exemplarisch für den Dentalmarkt zu verstehen, sondern kaufte die im Kölner Raum ansässige Zahnstation-Praxisgruppe mit ursprünglich sechs Standorten, von denen allerdings schon vier (Frechen, Merkenich, Ohligs und Wuppertal) im Laufe des vergangenen Jahres geschlossen werden mussten; allein Solingen und Köln (unter dem smart-teeth-Label) blieben bestehen. Die Praxislabore wurden durch Flemming-Dental-Labore ersetzt. Mit wenigen Ausnahmen sind die Entscheider bei den Investoren-Ketten keine „Dentaler“. Es sind Menschen aus der Zeitarbeitsbranche, Menschen aus großen Beratungsunternehmen und Kanzleien, selten genug aus der Dentalindustrie, gelegentlich aus dem Depotbereich – aber nach Zahnärzten im operativen Bereich, die echte Entscheidungskompetenz für die Kette haben, sucht man meist vergeblich.

 

2. Investoren können Excel, aber kein Word

 

Investoren sind Controller-gesteuerte Einrichtungen, die mit Excel-Sheets arbeiten, in denen sie Umsatzhoffnungen als Prognosen verkaufen. Die Geschäftspläne, mit denen sie arbeiten, sind denkbar einfach gestrickt: Umsatz im Jahr des Kaufes („X“) plus 5 Prozent (oder was auch immer). Und im nächsten Jahr „(X plus 5 Prozent) plus 5 Prozent“. Das wird als Vorgabe kommuniziert und „vereinbart“. Damit das kontrolliert werden kann, müssen Reporting-Strukturen etabliert werden, die eine Abrechnungsassistentin in den Wahnsinn treiben können. Im besten Fall ist das alte Abrechnungssystem noch das von der Zentrale obligatorisch verlangte System, auf das ein SAP- oder Oracle-Modul aufsetzt, das für die Controller die Zahlen „ausliest“, zusammenfasst und visualisiert. Im schlechtesten Fall muss komplett umgestellt werden – und die Abrechnungsassistentin muss sich eben auf etwas Neues einlassen. Entscheidend ist, dass fünf Tage nach Monatsende eine Auswertung über die Umsätze vorliegt. Wenn nicht: ganz schlecht. E-Mail, Anruf, Druck im Drei-Tage-Rhythmus. Der schnellste Weg, das gesamte Praxisteam gegen sich aufzubringen, besteht darin, Reporting-Strukturen an die Zentrale durchzusetzen. Wenn man sich die Stellenangebote der von Investoren geführten Z-MVGs in den vergangenen Monaten angeschaut hat, dann suchen Investoren a) Juristen, b) Controller, c) Mergers & Acquisitions-Spezialisten, d) Abrechnungsassistenten. Sie suchen keine Moderatoren, sie suchen keine Teambilder, sie suchen keine Fachleute für Konsensbildung und Motivation. Und weil die Gespräche mit den Zahnärzten und ihren Teams so schwierig und unangenehm sind, suchen sie Regionalmanager, die mit den Praxen „auf Augenhöhe“ die Geschäftspläne „besprechen“. Wie man mit Zahnärzten spricht, wie man Teams motiviert, wie man die Abrechnungsassistentin befähigt, (zunächst einmal) Quartalsreports zu erstellen, wie man mit dem „Word“ umgeht – davon verstehen Investoren ganz wenig. Sie verstehen etwas von der Auswertung von BWAs und leisten problemlos Analysen, dass der Personalkostenanteil bei der Praxis A viel höher ist als bei der Praxis B. Da sei doch Potenzial für Einsparungen! Dass Praxis A im Ballungszentrum niedergelassen ist und höhere Personalkosten hat als Praxis B im Saarland, wird schon gesehen, aber, aber …. Oder dass Praxis A keine Fluktuation hat, weil gute Leute gutes Geld verdienen wollen, während Praxis B ständig auf der Suche nach neuen Mitarbeitern ist, ja klar, aber, aber …

 

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Quelle: Quintessence News am10. Februar 2020